Vom Modell-Star zur Auensee-Attraktion

http://www.lvz-online.de/lvz-heute/2733.html

Ein Star wird 80 – die Fans können am Wochenende feiern kommen: mit Liese, der historischen Liliput-Dampflok der Leipziger Parkeisenbahn. Fast 55 Jahre ihres Daseins – nämlich seit Gründung der früheren Pioniereisenbahn 1951 – schnauft die alte Lady rund um den Auensee. Seit genau zehn Jahren allerdings tritt sie etwas kürzer, teilt sich den Job mit einer kleinen Akku-Lok.
Lothar Schiller, Baujahr 1933 und längst Rentner, hat seit Jahren eine Liaison mit der Achtzigjährigen. Zwar verrußt die ihm fast täglich Hemd und Hose und die Gattin daheim muss dauernd waschen. Aber sie drückt wohl selbst noch dann ein Auge zu, wenn ihr Mann die große Liebe zusätzlich stundenlang pflegt und repariert, falls sie mal nicht richtig tickt. Schiller, gelernter Dampflokschlosser, ist einer von derzeit drei Lokführern, die Liese und Co. auf den zehnminütigen Rundkurs um den See bringen. „Und wenngleich ich dabei die Liese mit ’ner Vierteltonne Koks pro Schicht füttern muss – so mit blank geputztem Kessel und Kolben ist sie schon eine Schönheit“, schwärmt nicht nur er.
Ursprünglich war ihr allerdings quasi auch eine Model-Karriere zugedacht. Sie und zwei weitere „Schwestern“ wurden 1925 in der Münchner Krauss & Co. AG eigens als Ausstellungsbahnen gebaut. So als Nachbildungen einer Schnellzuglok im Maßstab 1:3,33 – und bissel abgekupfert von den gerade entwickelten Einheitslokomotiven der Reichsbahn.
Das einmalige Dampflok-Trio tingelte zunächst tatsächlich quer durch Deutschland von Schau zu Schau. „Jedenfalls bis 1929 die Feldbahnbedarfs-Firma Erich Brangsch in Leipzig-Engelsdorf Liese und die anderen beiden erstand“, erzählt Christian Möller vom Verein Parkeisenbahn Auensee. Auch Brangsch schickte die schmucken Stahlrösslein zu Expositionen in die Spur – Liese kam auf Gleise, die die Welt bedeuten: Antwerpen, das irische Cork, Barcelona …
Nach dem Zweiten Weltkrieg – Brangsch wurde zum VEB – war’s vorbei mit den Auslandsengagements für die Liliputbahnen. „Als 1950 anlässlich des Internationalen Kindertages am 1. Juni im zerstörten Dresden die erste Kindereisenbahn der DDR eingeweiht wurde, musste Leipzig die drei Liliput-Schwestern dorthin verborgen“, erzählt Möller. Im Herbst des gleichen Jahres war dann Baustart für die Kindereisenbahn Nummer zwei der Republik – nämlich in Wahren am Auensee. Aber da hatte die in Dresden ansässige übergeordnete Behörde des Engelsdorfer Betriebes schon entschieden: Alle drei Schmuckstücke bleiben an der Elbe! „Das hat vielleicht einen Wirbel verursacht, bis wenigstens eines der Exemplare wieder nach Wahren kam“, weiß Möller. Hiesige Lokführer tauften das letztlich Liese.
44 Jahre zog sie mit all den Wagen voll Reisender solo ums Gewässer. Doch mit zunehmendem Alter „ließ der Dampf im Kessel nach“. 1995 kam Entlastung. Eine kleine Akku-Lok wurde ihr zur Seite gestellt. Insgesamt stiegen bei der Minibahn bis Ende 2004 rund 5.433.600 Millionen Fahrgäste seit Zähl-Beginn 1952 zu.
Momentan sind die Weichen in die Zukunft für Liese und Co. nicht gestellt. Im Gegenteil. Dem Verein Parkeisenbahn Auensee, der sie heute betreibt, geht zunehmend die Kohle aus. „Die Kosten für den Betrieb steigen – unter anderem weil für uns wichtige Versorger wie Stadt- und Wasserwerke ihre Preise stetig erhöhen“, sagt Parkbahnleiter Thomas Borzytzki. Auch der Steinkohlenkoks für Liese werde immer teurer. Vor vier Wochen erst habe er für eine Tonne 390 Euro hinblättern müssen. Und wenngleich mittlerweile vieles saniert werden konnte, fehlten immer noch 200 Meter Gleis, die mit 75.000 bis 100.000 Euro zu Buche schlagen – wenn man sie nur schon hätte.
„Rein für die Unterhaltung der technischen Anlagen sind im Jahr 35.000 bis 40.000 Euro nötig“, so Borzytzki. Hinzu kämen Personalkosten. Der Zuschuss der Stadt betrage derzeit etwa 35.000 Euro im Jahr und sinke jährlich um etwa zehn Prozent.

Der wahre große Sponsoren-Coup sei auch noch nicht gelungen. Wenngleich eine handvoll hiesiger Unternehmen ab und an sehr hilfreich zur Seite stünden. Und eines, so Lokführer Schiller und Bahnhofsleiter Borzytzki unisono, spüre man auch – die wachsende Zahl von Hartz-IV-Empfängern, die keine Fahrkarte mehr lösen.

Angelika Raulien

Schreibe einen Kommentar